Freiburg im Breisgau kennt fast jeder, doch Freyburg an der Unstrut? Dabei hat dieses hübsche kleine Städtchen viel Besonderes zu bieten und gilt als Perle des Unstruttals. Da wir mit unserer weitverzweigten Familie interessante Orte zur alljährlichen Pfingsttour auswählen, haben wir uns in diesem Jahr für die Jahn-, Wein- und Sektstadt entschieden. Wir treffen uns dort, wo „Kultur und Erholung, Geschichte und Genuss zu Hause sind“.
Auch wenn die Herren in unserer Gruppe zuerst die Weinberge ins Visier nehmen wollen, gehen wir streng nach Plan vor. Erst die Bildung und dann die geistigen Genüsse: Mit einer Stadtführung, die wir durch den Bürgermeister Udo Mänicke höchst persönlich bekommen, beginnt unsere Begegnung mit Freyburg an der Unstrut und der wunderschönen Umgebung.
Wir erfahren, dass die regelmäßige rechtwinklige Stadtanlage auf eine planmäßige Gründung des späten 12. Jahrhunderts zurückgeht und sehen, dass Freyburg noch einen nahezu intakten Stadtmauerring besitzt. Allerdings haben zahlreiche Brände vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die bauliche Entwicklung der Stadt beeinflusst. Die meisten steinernen Häuser der Altstadt sind erst nach den Stadtbränden entstanden. Dennoch haben auch einige ältere Häuser überdauert. Erst im Jahre 2001 wurde am Marktplatz ein spätgotisches Haus neu entdeckt. Das Rathaus wurde im 15. Jahrhundert errichtet. Seine heutige Gestalt ist geprägt durch Umbauten nach den Stadtbränden von 1551 und 1682. Die Gewölbe des Ratskellers entstammen jedoch dem späten Mittelalter.
Schmale malerische Gassen führen zu gemütlichen Gasthöfen und Weinstuben und laden zum Verweilen ein, so der „Künstlerkeller“, ein uriger historischer Gasthof in Familienbesitz mit Weinkeller und Übernachtungsmöglichkeiten.
Ein besonderes Wahrzeichen Freyburgs ist die Stadtkirche St. Marien. Die Kirche gilt als kleine Schwester des Naumburger Doms. Bereits der Blick aus der Ferne zeigt die Ähnlichkeit. Das westliche Turmpaar folgt in seiner Gestaltung den Osttürmen des Naumburger Doms, besitzt aber im Gegensatz zu diesen noch das spätromanische Erscheinungsbild der Turmhelme. St. Marien wurde um 1225 als spätromanische dreischiffige Basilika erbaut und im 15. Jahrhundert teilweise umgebaut. Sie erhielt dadurch ihr heutiges Aussehen, das von einer Verbindung romanischer und gotischer Elemente geprägt ist. Der Thüringer Landgraf Ludwig IV. und seine später heiliggesprochene Gemahlin Elisabeth veranlassten die Errichtung der mit reichem plastischen Schmuck verzierten Kirche. Vom romanischen Bau sind heute noch der Vierungsturm mit Querschiff und Chorquadrat erhalten sowie die doppeltürmige Westfront mit Vorhalle. Am romanischen Stufenportal, das in diese Vorhalle führt, thront im Portalbogen Maria, die Schutzpatronin der Kirche. Zu den bedeutenden Arbeiten der Innenausstattung gehört im Chor ein großer geschnitzter spätgotischer Marienaltar.
Weiter führt uns der Stadtrundgang zur Friedrich-Ludwig-Jahn-Erinnerungsturnhalle, die 1894 eingeweiht wurde und dem ehrenden Gedenken Friedrich Ludwig Jahns, der als „Turnvater“ in die Geschichte einging, dienen sollte. Die mit zwei Türmen versehene Giebelfront der neuromanischen Halle ist dem Freyburger Stadtwappen nachempfunden und wurde über der alten Grabstätte mit der Büste Jahns als Ort für Gedenkveranstaltungen hergerichtet. Bis heute wird die Erinnerungsturnhalle von den Freyburger Schulen und Vereinen genutzt. Da sich schon bald nach ihrer Einweihung der Museumsraum als zu klein erwies, betrieb die Deutsche Turnerschaft den Bau eines neuen Jahn-Museums. So entstand unmittelbar daneben die Jahn-Ehrenhalle. Sie wurde 1903 errichtet. Die Ehrenhalle dient seitdem der Durchführung festlicher Veranstaltungen, wissenschaftlicher Tagungen und ist Ort der Mitgliederversammlungen der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft e.V. Sie ist auch Erinnerungsstätte der deutschen Turnfeste. Bleiverglaste Fenster erinnern an die Städte, in denen deutsche Turnfeste stattfanden.
Wir bekommen Einlass in die Jahn-Ehrenhalle, die ich bisher immer nur von außen sehen konnte. Die bleiverglasten Fenster geben dem Raum ein schönes Licht. Bevor uns Udo Mänicke etwas zur Persönlichkeit Friedrich Ludwig Jahns erzählt, stellt er uns die frisch gekürte 15. Freyburger Weinprinzessin Teresa Lustig vor, die ihres Amtes waltet und alle Gäste herzlich begrüßt. Der Wein ist hier ständig irgendwie präsent. Doch mit Blick auf die monumentale Statue Friedrich Ludwig Jahns widmen wir uns vorerst seiner Person. Jahn lebte 1825 bis 1828 und von 1836 bis zu seinem Tode 1852 in Freyburg. Wir erfahren etwas über seine widersprüchliche Entwicklung: Während seine Verdienste für die Entwicklung des Turnwesens und sein Engagement im Rahmen der Befreiung von der Napoleonischen Fremdherrschaft unbestritten sind, bleibt hinsichtlich der Überspitzung seiner national orientierten Gedanken in Reden, Briefen und Schriften ein fader Beigeschmack. Diese Äußerungen waren u.a. ein Nährboden für Fremdenhass und übersteigerten Nationalismus.
Das Jahn-Museum befindet sich seit 1936 im Wohnhaus Jahns am Schlossberg. Die Ausstellung im Museum dokumentiert das Leben des „Turnvaters“ und würdigt seine Bedeutung für die Entwicklung der Turnbewegung in Deutschland. Zum Inventar des Museums gehören heute noch Stücke aus seinem Nachlass, so z.B. auch das berühmte Turnpferd.
Am nächsten Tag tauchen wir wieder ins Mittelalter ein. Es geht zum Schloss Neuenburg, das malerisch hoch oben über der Stadt thront. Weithin sichtbares Wahrzeichen der schönsten Burg Sachsen-Anhalts ist ihr Bergfried, „Dicker Wilhelm“ genannt. Die Neuenburg war die größte Burg der Landgrafen von Thüringen, Schwesterburg der Wartburg in Eisenach und zeitweiliger Aufenthaltsort Friedrich Barbarossas und der Heiligen Elisabeth. Die Burg wurde um 1090 vom Thüringer Grafen Ludwig dem Springer errichtet. Er war der Begründer eines der einflussreichsten Fürstengeschlechter des Heiligen Römischen Reiches. Die Neuenburg erlebte ihre größte Blüte unter Ludwig IV. und seiner Gemahlin Elisabeth (1217/27). Nach mehreren Um- und Ausbauphasen war die Burg am Ende ihres Ausbaus um 1230 etwa dreieinhalbmal so groß wie die Wartburg. Beim Rundgang fasziniert uns besonders die um 1170/75 entstandene romanische Doppelkapelle. Im 13. Jahrhundert kam die Burg an die späteren Kurfürsten von Sachsen, die sie bis zum 18. Jahrhundert zu einem Jagdschloss umbauten. Danach verlor die Burg an Bedeutung. 1970 musste sie wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Nach schleppenden Instandsetzungen in den 1980er-Jahren wurde 1989 mit der Rettung der Anlage begonnen. Heute hat Schloss Neuenburg ein modernes Museum mit Ausstellungen zur hochmittelalterlichen Blütezeit, es gibt ein Weinmuseum und wechselnde Sonderausstellungen. Kinder, die sich gern als Ritter oder als Hofdame verkleiden, um so in die Vergangenheit einzutauchen, sind in der „Kinderkemenate“ richtig. Und natürlich kann man in den Mauern der Neuenburg heiraten, feiern und tagen sowie in den Ferienwohnungen im Brunnenhof auch übernachten. Ehe wir wieder nach unten absteigen, wird im Museumsladen gestöbert. Hier gibt es so viel zu entdecken …
Doch wir wollen heute auch noch zur Weinverkostung in einen der zahlreichen Weinberge. Den bekanntesten haben wir schon beim Stadtrundgang gesehen: Der Herzogliche Weinberg am südöstlichen Stadtrand unterhalb des Haineberges. Der kursächsische Steuereinnehmer Gottlieb Barthel ließ den Berg 1774 ausbauen. Bis heute hat sich das pavillonartige Weinberghaus aus dem 18. Jahrhundert mit Stuckdecke und Kamin in der geräumigen Stube des Obergeschosses erhalten.
Wir haben uns zum Essen und zur Weinverkostung in der „Sonnenuhr“ angemeldet. Das Hotel und Weinrestaurant befindet sich in einer der schönsten Lagen des Saale-Unstrut-Gebietes, der „Toskana des Nordens“, wie der Jugendstilkünstler Max Klinger es treffend formulierte. Sein Weinberghäuschen auf dem Klingerberg in Großjena ist noch heute erhalten und ein beliebtes Ausflugsziel. Das milde Klima und die liebliche Landschaft der Steil- und Terrassenlagen oberhalb der Flussauen bestätigen den Vergleich. Wir genießen den Blick von oben und erheben das Glas auf diese Schönheit. Das köstliche Essen auf der Terrasse der „Sonnenuhr“ verwöhnt unsere Gaumen. Es ist Spargelzeit! Nun, wo die Grundlagen gesetzt sind, kann es zur Weinverkostung gehen. Sie ist so interessant und mit allerlei Weinsprüchen und Humor auch kurzweilig gestaltet, dass wir eigentlich am liebsten hier inmitten der Rebstöcke bleiben würden. Die verschiedenen Weinsorten, die wir probiert haben, tun ein Übriges. Aber die Kinder drängen schließlich zum Aufbruch. Auch sie wollen auf dem Spielplatz noch etwas erleben. Also die besten Flaschen in den Rucksäcken verstaut, und der Abstieg kann beginnen.
Wir können Freyburg nicht verlassen, ohne am letzten Tag noch die Sektkellerei „Rotkäppchen“ in Augenschein zu nehmen, wo seit über 150 Jahren wahrer Sektgenuss entsteht. Die Führung durch die historischen Kelleranlagen des eindrucksvollen Industriedenkmals lohnt sich. Alle sind ganz Ohr, um Insider-Wissen zu erlangen. In den Sektkellern befindet sich übrigens das größte hölzerne Cuvéefass Deutschlands, das selbst unsere Kleinsten in Erstaunen versetzt. Sie dürfen dann sogar mal in ein Weinfass reinkriechen. Uns alle beeindruckt auch der historische Lichthof, der zu den ältesten denkmalgeschützten Industriehallen Sachsen-Anhalts gehört. Hier finden verschiedene Veranstaltungen statt, so auch das „Rotkäppchen Sektival“. Mit neuem Wissen und in wahre Sektlaune versetzt, geht es im Anschluss in den Sekt-Shop. Hier werden die verschiedensten Rotkäppchen-Varianten verkauft. Endlich komme ich auch wieder mal in den Genuss meines Favoriten: die prickelnde Mocca-Perle, eine echten Muntermacherin. Diese Mischung aus Kaffee und halbtrockenem Sekt im Piccolo-Format gibt es leider nur in ausgewählten Geschäften oder eben direkt vor Ort. Natürlich kann man sie auch online erwerben.
Die Sektkellerei war der letzte Höhepunkt unseres Pfingstausfluges. Die Autos sind beladen mit allerlei Wein- und Sektflaschen, eine nachhaltige Erinnerung. Alle aus der Familie sind sich einig, dass sie irgendwann wiederkommen werden, vielleicht schon am zweiten Septemberwochenende zum größten Winzerfest Mitteldeutschlands. Dann verwandelt sich der Freyburger Markt in ein kleines Weindorf, und zahlreiche Weingüter der Region bieten ihre erlesenen Köstlichkeiten an.
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Bilder von Birgitt Sandke